Kirchliche Kunstexpertin fordert Vermittlung von Filmkunst für Kinder und Jugendliche
Dr. Simone Liedtke, Pastorin und Beauftragte für Kunst und Kultur im Gespräch mit Sabine Dörfel.
„Welches Resümee ziehen Sie nach dem Kunstempfang ‚Spielraum Kunst Kirche #3‘"?
Dr. Liedtke: „Kirchliche Filmarbeit ist ein starkes Stück Kulturarbeit, denn Kunst und Kirche finden gemeinsame Zugänge zu grundlegenden Lebensthemen. Der bei dem Empfang gezeigte Film „Bitte.Danke.Genau“ der ukrainischen Filmemacherin Polina Kundirenko thematisiert Kriegs-, Flucht- und Integrationserfahrungen vier ukrainischer Frauen. Seine starken, oft surrealistischen Bilder, sowie Kundirenkos poetische Filmsprache, regten viele Teilnehmende zur Reflektion eigener Erfahrungen der Verunsicherung und des Verlorenseins an. Die Kirche und der liturgische Rahmen der Veranstaltung erwiesen sich als öffnender, aber auch schützender Raum für den Gesprächsaustausch.
„Was kann ein Film zu der Verarbeitung von Kriegs- und Fluchterfahrungen beitragen?“
Dr. Liedtke: „Filme haben eine andere Erzählebene als TV-Nachrichten. Sie zeigen persönliche Geschichten und bieten den Zuschauenden Identifikationsmöglichkeiten, vermittelt durch die Vorstellungswelt der Filmschaffenden. Das Filmgespräch mit dem Publikum bietet Gemeinschaftserfahrung durch das Teilen von Eindrücken und Gefühlen.“
„Welche Rolle spielt die Kirche als Kulturort?“
Dr. Liedtke: „In einer Gesellschaft, die von Funktionalität, Tempo und dem Zwang zu (vor-)schnellen Urteilen und Antworten geprägt ist, kann Kirche Räume zum Innehalten bereitstellen. Sie kann einladen, moderieren und eigene Standpunkte beispielsweise zu Themen wie Weltbeschreibung oder Friedensethik einbringen. Zunehmend mehr Menschen verlangen nach inhaltlichen Impulsen, gerade auch theologischen. Es gibt ein starkes Bedürfnis nach einer Spiritualität, die angesichts der zunehmenden Verunsicherung trägt.
„In der jetzt beginnenden Filmreihe „Mutig. Stark. Beherzt. Kinofilme und Dialoge zu Themen des Kirchentages“ zeigt der landeskirchliche Arbeitskreis „Kirche und Film“ sieben Filme, die zum Kirchentag in Hannover 2025 hinführen sollen. Welches Ziel verfolgt die Reihe unter der Schirmherrschaft von Landesbischof Ralf Meister?“
Dr. Liedtke: „Wir zeigen Filme, die auf Themenfelder des Kirchentags verweisen wie zum Beispiel Klimaschutz, Gewalt und Vergebung, Genderfragen oder Existenzerfahrungen der jüngeren Generation. Die Filme laufen in Kinos in Hannover und niedersachsenweit und werden von thematischen ExpertInnen begleitet. Die Reihe soll auf den Kirchentag neugierig machen, bei dem es ein eigenes Film- und Kulturprogramm gibt.“
„Ein Film soll unterhalten und gleichzeitig gesellschaftliche Themen und Herausforderungen benennen. Wie löst der Film diesen Anspruch ein?“
Dr. Liedtke: „Das muss kein Widerspruch sein. Der Film knüpft an das Leben an, wie wir es kennen. Gleichzeitig nutzt er fantastische und experimentelle Mittel, um alternative Möglichkeiten des Seins, Denkens und Handelns zu zeigen. Filme sind eine unverzichtbare Form, um Szenen des Lebens zu erzählen. Sie bieten vielfältige Zugänge und Auslegungsmöglichkeiten. Darum ist Filmkunst ein guter Dialogpartner für Religion, deren Botschaft auch über Erzählungen transportiert wird.“
„Wie können sich der Film und insbesondere die Filmkunst angesichts der Flut des Visuellen beispielsweise in den sozialen Medien durchsetzen?“
Dr. Liedtke: „In der Tat steht die traditionelle Filmkunst angesichts der ständigen medialen Präsenz visueller Reize auf dem Prüfstand. Ein Film nimmt sich Zeit für seine Themen und seine Charaktere. Das fordert vom Publikum Konzentration, Anpassung an das Filmtempo und eine längere Aufmerksamkeitsspanne als bei Social-Media-Videohäppchen. Manche empfinden das als anstrengend. Kindern und Jugendlichen muss die Filmkunst ähnlich wie auch die Theater- und Musikkultur zunehmend vermittelt werden. Hier sehe ich eine aktuelle Bildungsaufgabe, an der sich auch die Kirche beteiligen sollte.